WikiLeaks – Mut zur Wahrheit?

20110512-102414.jpgSie haben es wieder getan bzw. er, Julian Assange. Nach den Irak- und Afghanistan-Files, Steueroffenbarungen und den Diplomaten-Depeschen wurden kürzlich die Guantanamo-Files veröffentlicht. Wir fragen, darf der das, macht es unsere Welt gerechter, wahrhaftiger, informierter?
Das 2011 bei Suhrkamp erschienen Buch „WikiLeaks und die Folgen“ gibt Antworten. Unter anderem folgende Aspekte sind für die Auseinandersetzung mit WikiLeaks hilfreich.

Transparenz
Einfach ist es im Internet komplett transparent oder vollkommen verschlossen zu sein, dazwischen zu agieren, stellt den Einzelnen vor eine wesentlich komplexere Aufgabe. WikiLeaks selbst ist in sich alles andere als transparent, das gilt vor allem dem Schutz der Quellen. Die Informationen dagegen als Daten im Internet abgelegt sind es. Erklärtes Ziel ist es, den angegriffenen Institutionen und Personen zu mehr Transparenz zu verhelfen. Aber funktioniert das auch bei totalitären Regimen wie China, die sich keinerlei Transparenz verpflichtet fühlen?

Vertrauen
Geheimnisse sind wichtig für die Zivilgesellschaft, deren Eckpfeiler Vertrauen ist? Auch wenn WikiLeaks dafür steht, Geheimnisse zu lüften, baut es selbst auf dem Vertrauen seiner Informanten auf, die von Assange zumindest die Geheimhaltung ihrer Identität gewahrt wissen wollen.

SPO
WikiLeaks ist eine so genannte Single Person Organisation, die um Ihren charismatischen Kopf Julian Assange aufgebaut wurde. Der Name Wiki…. suggeriert etwas Anderes, leicht erliegt man der Vorstellung, es gehe hier in Anlehnung an die Wikipedia um eine Beteiligung aller Nutzer, eine Plattform bei der prinzipiell jeder mitmachen kann.

Idealismus und Anarchie
Der Idealismus ist da: Die Welt verbessern, mit Daten und Fakten im Netzwerk auf dem Weg zur Wahrheit. Zentren der Macht angreifen um jeden Preis? Die Nähe zur Anarchie ist offenbar.

Daten und Fakten
Sie erscheinen authentisch und wahr, gerade weil sie nicht journalistisch aufbereitet sondern original sind. Früher war „Quelle“, die Bezeichnung für den Informanten, auf den sich ein Artikel stützt, heute ist es die Information selbst.

„Quellenmaterial zeichnet sich durch drei Momente aus: es dokumentiert die Wirklichkeit, ist vom Wissen als echt bezeugt und aufgrund seiner Materialhaftigkeit mit besonderer Hartnäckigkeit beständig. […] Wirklichkeit, Echtheit und Materialität rücken das Quellmaterial in eine gewisse Nähe zur Wahrheit.“ (Bunz, Mercedes: Das offene Geheimnis: Zur Politik der Wahrheit im Datenjournalismus. In: Geiselberger, H. (Hg.): WikiLeaks und die Folgen 2011, S. 146)

Digitaler Informationsfluss
Im Digitalen lässt sich der Informatonsfluten Herr werden. Geheime Dokumente landen nicht auf dem Kopierer, sie werden im Netzerk weitergeleitet, umgeleitet, abgefischt, neu geordnet und das alles mit vergleichsweise wenig Aufwand bei einer gigantischen Anzahl von Daten. Allein die Diplomaten-Depeschen umfassten eine Anzahl von mehr als 500000 Files!

„[…] überall dort, wo Information verarbeitet wird, […] werden sich bald Algorithmen in eingespielte Arbeitsteilungen einmischen – helfend, störend, blitzschnell und definitiv.“ (Ebd., S. 138)

Journalismus
Fakten und Daten müssen in einen Kontext eingebunden werden, um Aussagekraft zu entwickeln. Das ist vor allem die Aufgabe von Journalisten. Sie vermitteln zwischen Daten/Fakten und Menschen. Der investigative Journalismus scheint auf dem absteigenden Ast zu sein, während die unkritische Wiederveröffentlichung von Pressemitteilungen zum Hauptgeschäft wird. WikiLeaks fordert den Journalismus heraus, schafft neue Fakten und trägt das Risiko bei Veröffentlichung brisanter Informationen.

Wahrheit

„Wenn Informationen Wahrheiten sind und die Wahrheit der Königsweg zur Freiheit ist, dann wird der Zuwachs an Informationen im Internet die Welt automatisch besser machen.“. (Lanier, John: Nur Maschinen brauchen keine Geheimnisse. In: Geiselberger, H. (Hg.): WikiLeaks und die Folgen 2011, S. 69)

Ob allein die Zunahme von Informationen die Welt verbessert sei dahingestellt. WikiLeaks ist eine Möglichkeit, Informationen durchsickern zu lassen und verfügbar zu machen. Es ist ein Gewinn für unsere Gesellschaft. Trotz aller Probleme, die sich bei der Betrachtung von WikiLeaks zeigen, brauchen wir Möglichkeiten, kritische bis „verschwörerische“ Informationen weitergeben zu können, ohne selbst deshalb Schaden zu nehmen. Wesentlich ist dabei, den Wirkungsweisen und Folgen der Technologie auf den Grund zu gehen und angemessene Wege zu finden, sie mit unserer eigenen Gegenwart sinnvoll vereinen zu können.

Eine der wichtigsten politischen und philosophischen Herausforderungen, denen wir uns im 21. Jahrhundert stellen müssen, besteht demnach darin, die Lehren, die es aus den neuen Technologien zu ziehen gilt, zu verstehen und mit jenen Werten in Einklang zu bringen, die unseren demokratischen Gesellschaften zugrunde liegen.“
(Kornblum, John C.: WikiLeaks und die Ära des radikalen Wandels. In: Ebd., S.175)