Glitch: Medientechnische Fehlfunktionen und Hardware Hacks in der elektronischen Musik
Lehrveranstaltung im Projektsemester an der Universität Hildesheim gemeinsam mit Dr. Alan Fabian vom Institut für Musikwissenschaften im Bereich Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis
Audiovisuelle Medientechniken erfüllen dann ihre Funktion, wenn sie selbst nicht wahrnehmbar sind, und nur das, was sie übertragen sollen, sichtbar und hörbar ist, d.h. wenn sie fehlerfreier Übertragungskanal von technisch codierter Information sind. Das technische Medium wird also erst dann wahrnehmbar, wenn es seine Übertragungsfunktion NICHT fehlerfrei erfüllt, genauer gesagt, wenn die Übertragung kurzzeitig ’aussetzt’ oder ’ausgesetzt wird’: bei Audio-Technologien aufgrund defekter Abspielgeräte oder fehlerhafter Trägermedien (digital: beim mp3-Player fehlende Bytes, beim CD-Player eine verkratze oder verschmutzte CD; analog: bei der Radioübertragung die nicht-kontinuierliche Trägerwelle, beim Plattenspieler die verkratzte oder verschmutzte Schallplatte).
In der technischen Störung (glitch) offenbart sich das Medium. Hier setzt die Musik aus, die das Medium eigentlich übertragen sollte, hier wird das Medium im ’Aussetzer’ hörbar und zum ’Musikmachding’. Künstler aus dem Bereich der experimentellen Elektronika, wie z.B. Oval, Mouse on Mars oder Tim Hecker, haben in den 1990er Jahren das musiktechnologische ’Aussetzen-lassen’ als medienkünstlerische Praxis kultiviert.
Eine weitere, spätestens seit den 1960er Jahren verbreitete Praxis ist das ’Circuit Bending’, bei dem Musikapparate, vom Spielzeug bis zum LoFi-Synthesizer, durch kreatives Kurzschließen und Erweitern deren Schaltkreise ’gehackt’ werden (z.B. von Nicholas Collins). Hier wird Medientechnik umfunktioniert, deren Bauteile werden sprichwörtlich ’ausgesetzt’ und (wo)anders wieder ’eingesetzt’, so dass bestimmte übertragunstechnische Eigenschaften dieser hörbar werden: elektrotechnische Bauteile ’erklingen’.
In diesem Projekt wollen wir uns wissenschaftlich und künstlerisch mit dem ’Aussetzer’ als eine in verschiedenen Kulturen der elektronischen Musik ästhetitiserte Fehlfunktion beschäftigen. Vor dem Hintergrund der Frage danach, wie sich aus Strategien der technischen Störung und Umfunktionalisierung künstlerische Praktiken ergeben haben, werden wir uns den musik- und medienwissenschaftlichen Diskurs diesbezüglich erarbeiten. Weiter werden wir den in der Literatur und der Musik vorgefundenen Glitch-Praktiken experimentell nachgehen, Abspielgeräte ’hacken’, Musikelektronik anders verkabeln (Circuit Bending) und Tonträger modifizieren (Glitch), immer auf der Suche nach ’unerhörten’ Klängen und den Möglichkeiten der Musikästhetisierung dieser im Zusammenhang mit verschiedenen Spielarten der elektronischen Musik. Zur Inspiration für unsere eigenen Experimente sind 1-2 Workshops mit namhaften Künstlern dieser Musikszene geplant.